Freitagskommentar
Warnschuss für Männer und das Gesundheitssystem
Eine neue Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung und des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung kommt im Vergleich von 16 europäischen Ländern zu einem besorgnis-erregenden Ergebnis: Die mittlere Lebenserwartung der Männer in Deutschland gehört mit 78,8 Jahren zusammen mit Portugal (78,7) zu den Schlusslichtern! Der Spitzenreiter ist Spanien, wo die Männer im Durchschnitt 80,8 Jahre alt werden.
Das ist nur eine mittlere Differenz von 2 Jahren. Lohnt es sich überhaupt, darüber nachzudenken?
Es lohnt sich erstens, denn Mittelwertsdifferenzen können in Subgruppen oder bei Einzelfällen ganz unterschiedlich ausfallen.
Es lohnt sich zweitens, wenn man bedenkt, dass Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Ländern ein differenziertes, leistungsstarkes und gut zugängliches Gesundheitssystem hat, das die Lebenserwartung positiv beeinflussen sollte. Das tut es auch, aber offensichtlich nicht genug.
Deutsche Männer: hohe Sterblichkeit an Herz-Kreislauferkrankungen trotz hoher Rate an stationären Behandlungen
Es lohnt sich drittens, wenn man Männergesundheit ernst nimmt und sich anschaut, woran deutsche Männer hauptsächlich sterben und wann sie sterben. Im Vergleich zu Spitzenländern mit hoher Lebenserwartung wie Japan, Spanien, der Schweiz oder Frankreich zeigt sich, dass deutsche Männer exzessiv häufiger an Herz-Kreislauferkrankungen sterben, und zwar bereits ab einem Alter von 50 Jahren und aufwärts. Mit diesem Rekord fällt Deutschland auch deutlich hinter den USA und UK zurück, deren Gesundheitssysteme bekanntermaßen weniger funktionieren und zugänglich sind.
Noch komplizierter wird es, wenn man die hohe stationäre Behandlungsrate wegen Herz-Kreislauferkrankungen berücksichtigt, die in keinem Land so hoch ist wie in Deutschland. Werden Männer in Deutschland schneller stationär behandelt oder sind sie schon so krank, dass eine stationäre Aufnahme notwendig ist?
Wanted: Prävention vor Reparation
Klar ist, dass unser Gesundheitssystem auf Krankheitsbehandlung, nicht auf Prävention ausgerichtet ist. Prävention findet noch hauptsächlich auf der rhetorischen Ebene als Vision statt. Eine nicht ausreichend auf Prävention ausgerichtete Gesundheitspolitik und ein wenig präventiver Lebensstil von Männern treffen hier unheilvoll aufeinander. Das Ergebnis: Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden bei Männern häufig zu spät behandelt, wenn die Erkrankung bereits fortgeschritten ist und zu ernsthaften Folgeerkrankungen geführt hat. Dann kommt die Hilfe tatsächlich oft zu spät.
Also Männer, wir haben nicht die Zeit, auf ein effektiveres staatlich vorgegebenes Präventionsmanagement zu warten, das sowohl der Bevölkerung als auch dem Einzelnen nützt (Präventionsparadox). Prävention ist ein schwieriges Geschäft, das nicht nur der Politik und den Gesundheitsexperten überlassen werden sollte. Wirkungsvoller ist es, es selber in die Hand zu nehmen. Das nützt dem Einzelnen sofort und auf lange Sicht nützt es auch der Bevölkerung.
Und Männer, ihr seid zwar gute Verdrängungskünstler, aber ihr wisst genau, wie Prävention geht: spätestens ab 40 mehr Obst und Gemüse, mehr Bewegung und Entspannung, dafür weniger Rauchen und Alkohol, besserer Umgang mit Stress, ausreichend Schlaf und gute soziale Beziehungen.
Das bringt nicht nur zusätzliche 2 Jahre Lebenszeit, sondern erstaunliche 24 Jahre - wenn man neuesten Daten aus den USA glauben mag (https://www.dropbox.com/s/fge6k1m3sgl3gpd/Nguyen%20abstract.docx?dl=0).
Und nicht vergessen: die Krankenkassen zahlen ab dem 35. Lebensjahr einen Gesundheits-Check-Up alle drei Jahre!
(Jasilionis D, van Raalte AA, Klüsener S, Grigoriev P. The underwhelming German life expectancy. European Journal of Epidemiology 2023. DOI.org/10.1007/s10654-023-00995-5.)
Stiftung Männergesundheit
Prof. Dr. Anne Maria Möller-Leimkühler